Ein Plädoyer für die „besondere Aufmerksamkeit“ und warum sie gerade heute ganz besonders wichtig für unsere Kinder ist
Quality Time meint, dass mehr als die Dauer, die Art und Weise, wie wir mit unseren Kindern Zeit verbringen, relevant ist. Der Begriff stammt aus den USA und wurde in den 1970ern geprägt, zwischenzeitlich auch bei uns fast inflationär verwendet und dabei leider oft missinterpretiert. Es geht bei Quality Time nicht darum gemeinsam Großartiges zu unternehmen, es geht um viel mehr. Um Zeiten exklusiver Aufmerksamkeit.
Gerade kürzlich habe ich einen Beitrag gelesen, indem die Berechtigung von „Quality Time“ leidenschaftlich in Frage gestellt wurde und zwar in einer durchaus begrüßenswerten Grundhaltung, nämlich derart, dass es für Familien wichtig ist miteinander viel Zeit, vor allem auch unverplante Zeit zu verbringen. In einer entspannten und unspektakulären Form „miteinander Sein“, den banalen Familienalltag gemeinsam leben – das ist unbestritten schön und wichtig. Zugleich ist dies nicht immer möglich und bildet eine sehr exklusive Einstellung ab, die für viele (Berufstätige, Alleinerziehende, Kranke etc. ) schlichtweg nicht oder nur selten der Lebensrealität entspricht.
Qualität des Beziehungsangebotes
Hinsichtlich dessen möchte ich entgegenhalten, dass „Quality Time“ nicht „ich schau dich nie an und dann verbringen wir eine kurze spektakuläre Zeit im Legoland oder am Indoorspielplatz“ bedeutet, sondern „eine Zeit, in der wir unseren Kindern besondere Aufmerksamkeit widmen“. Diese „besondere Aufmerksamkeit“ steht hier nicht im Sinne von „besonders spektakulär“ oder „besonders teuer“ oder „besonders aufwendig“ sondern im Sinne von „besonders präsent“. Und Präsenz der Bezugspersonen ist für jedes Kind wichtig, ganz unabhängig ob seine Mama oder sein Papa daheim bleiben oder ob es vorwiegend fremdbetreut wird.
Es ist eine Zeit, in der die Bezugsperson „ganz und gar“, sprich: mit „Herz“ und „Hirn“, also körperlich mit allen Sinnen
- ich sehe dich,
- ich höre dir zu,
- vielleicht kuscheln wir und ich spüre dich und
- schnuppere den Duft deiner Haare, denn ich kann dich gut riechen …
und auch mit ihren Gedanken
- präfrontaler Kortex spielt jetzt mal nicht Achterbahn und
- plant das Abendessen,
- das Gespräch mit dem Vorgesetzten oder
- den nächsten Urlaub,
- sondern ist hier ganz bei dir …
beim kleinen Gegenüber ist. Das ist nicht immer möglich und auch nicht immer notwendig, zugleich muss es regelmäßig Raum für solche Zeiten geben. Intuitiv versuchen wir genau das über Rituale, wie zum Beispiel der Guten-Nacht-Geschichte, einem Spiel, der Einschlafbegleitung, etc. zu leben.
Und das Gedankenkarussel hält an
Nicht nur unsere Kinder, auch wir selbst profitieren von Momenten der Achtsamkeit und Gegenwärtigkeit. Nachdem wir das Zur-Ruhe-Kommen kaum gelernt oder aber auch nach erfolgreichen Sozialisation in der Leistungsgesellschaft wieder VER-lernt haben, fällt uns das oft schwer. Viele suchen den Thrill dann in herausfordernden Tätigkeiten, schwärmen für
Bungee-Jumping, powern sich beim Joggen aus oder setzen auf Meditation.
All das hat eines gemeinsam: Es erleichtert unserer Hirnrinde einen Moment aus dem Grübelmodus auszusteigen, denn unsere Aufmerksamkeit ist auf anderes fokussiert, der Monkey Mind kommt zur Ruhe, das Gedankenkarussel hält an. Es tut also auch uns selbst gut, Quality Time im Sinne von Achtsamkeit zu pflegen. Mit etwas Übung und Bewusstheit kann die besondere Aufmerksamkeit auch beim achtsamen Kochen, Geschirr spülen und jeder anderen alltäglichen Betätigung sein, mit allen Sinnen und im Singletasking-Modus.
Aus dieser Sicht finde ich es wichtig, den Begriff „Quality Time“ nicht einfach zu verabschieden, denn er bedeutet ein regelmäßiges Im-Moment-Sein, Präsent-Sein und genau das sind die Momente, in denen wir ganz besonders feinfühlig auf unsere Kinder eingehen können. Eine Pause vom „Am-Leben-Vorbeilaufen“, echte Lebenszeit, gegenwärtig sein.
Wer kann das schon – den ganzen Tag? Dazu braucht es geschützte Zeiten, in denen wir ganz bewusst besonders aufmerksam sind, beim achtsamen In-Beziehung-Gehen mit unserem Kind, unserem/r Partner/in und nicht zuletzt mit uns selbst, als eine Art der Selbstfürsorge.
Pudding an die Wand nageln
Mit dem Blick auf die gegenwärtigen Diskussionen im Bereich der Elementarpädagogik finde ich diese Haltung für unsere Kinder ganz besonders relevant.
Wenn bei der Diskussion um bessere Betreuungsschlüssel, von KindergartenpädagogInnen Sätze wie „Ich weiß am Ende des Arbeitstages gar nicht, ob ich mit jedem Kind richtig gesprochen habe“ fallen, dann müssten die Alarmglocken auch bei den politisch Verantwortlichen läuten. Denn es ist ein Grundbedürfnis gesehen zu werden und über die Relevanz von Feinfühligkeit im Kontext der kindlichen Entwicklung wissen wir schon seit der Bindungstheorie. Laut einem Bericht im Standard von August 2017 kümmern sich in Österreich um 25 (!) Kindergartenkinder oft nur eine Pädagogin mit einer Assistentin, die häufig nur halbtags arbeitet. [1]
Wenn wir in der Fachliteratur lesen, wie zentral es ist, feinfühlig auf emotionale Bedürfnisse des Kindes einzugehen, frage ich mich wie völlig im Stich gelassene PädagogInnen und Eltern, die den täglichen Spagat zwischen Job und Familie leisten, das schaffen sollen? Da könnten wir genauso versuchen Pudding an die Wand zu nageln: Wenn Grundvoraussetzungen etwas nicht ermöglichen, dann ist wohl der erste Schritt, diese zu verändern. Klingt so banal und kommt trotzdem nicht in die Umsetzung.
Der aktuelle Betreuungsschlüssel in Kindergärten und Schulen macht vieles möglich, zum Beispiel, dass niemand mehr diesen Beruf ausüben will und die Burn-Out Kliniken gut mit PatientInnen versorgt werden. Aber eines macht dieser Betreuungsschlüssel ganz sicher nicht möglich: Feinfühliges Eingehen aufs Kind.
Das Leben mit unseren Kindern:
Darum ist, neben der längst überfällig gewordenen politischen Verantwortung, die es hier endlich einmal nicht nur publikumswirksam zu betonen, sondern auch umzusetzen gilt, eines ganz besonders wichtig: Versuchen wir bewusst darauf zu achten, dass im Chaos des Alltags und neben all dem, das es zu bewältigen und zu leisten gibt, eines nicht zu kurz kommt:
Das Leben.
Das Leben mit unseren Kindern.
Achten wir darauf, dass wir Momente besonderer Aufmerksamkeit mit ihnen verbringen.
Jetzt.
Denn:
Unser Alltag ist ihre Kindheit.
Standard / Der lange Weg zur Bildungsstätte
BITTE diesen Artikel den Regierungsverantwortlichen schicken!…..und Sie sprechen mir aus der Seele als 4-fache Mutter und 8-fache Großmutter….denn unsere Kinder sind unsere Zukunft und wir sollten ihnen eine gute Kindheit ermöglichen,denn Versäumtes ist kaum aufzuholen.Damit dies gelingen kann,müssen die leider vielfach fehlenden Rahmenbedingungen-hier ist die Politik gefordert- geschaffen werden.